Als Lehrer an einer weiterführenden Schule bekommt man ja so einiges mit. Seit einigen Jahren gehe ich nun diesem Beruf nach und erlebe so manches, was unsere Gesellschaft schleichend verändert.
Wenn ich einmal viele Jahre an die Zeit zurückdenke, in der ich selbst noch zur „jungen Generation“ gehörte, dann fällt mir auf, wie sich unsere Gesellschaft in den letzten 25 Jahren massiv verändert hat. Alles ist heute „digital“ und auch wesentlich schnelllebiger geworden, als es noch im letzten Jahrtausend der Fall war. Mussten wir als Kinder früher noch zur Telefonzelle laufen, um den Eltern mitzuteilen, dass wir länger im Freibad bleiben wollen, so tippt man heutzutage lediglich eine kurze WhatsApp in seinen Minicomputer mit Telefonfunktion und alles ist gut. Heute muss auch quasi fast jeder jederzeit telefonisch erreichbar sein. Schlimm nur, dass dies schon bei Grundschulkindern anfängt. Und wenn man als Kind nicht wenigstens das abgelegte Smartphone seiner Eltern in der Tasche hat, dann gehört man eigentlich schon zu den Außenseitern in der „Peer-Group“. Medien und Politiker unterstützen die zunehmende Vernetzung durch sogenannte „Digitalisierungsoffensiven“ (man könnte meinen, man wäre im Krieg), damit nur ja jeder Junge und jedes Mädchen hinreichend auf die „digitale Zukunft“ vorbereitet wird. Seit Jahren schon ist es im Gespräch, den Kindern bereits in der Grundschule das Programmieren beizubringen. Die Kleinen sollen schon frühzeitig notwendige Kompetenzen erlernen, um in unserer digital gesteuerten Welt besser bestehen zu können. Man redet von Tablet-Klassen und Medienkunde als Unterrichtsfach. Stellt sich nur die Frage nach dem Umfang der zu vermittelnden Kompetenzen. Müssen Grundschulkinder wirklich schon programmieren können? Stehen in diesem Alter nicht erst einmal andere wichtige Kompetenzen im Vordergrund, wie zum Beispiel das Lesen, Schreiben, Rechnen und nicht zuletzt der Umgang miteinander unter Gleichaltrigen? So manche Schulgemeinschaft kämpft mit nicht oder nur wenig vorhandenen sozialen Kompetenzen. Wenn Kinder lesen, dann lernen sie auch Kompetenzen auch für’s Leben.
Die Beherrschung der digitalen Medien gilt inzwischen bereits als vierte Kulturtechnik (neben Lesen, Schreiben und Rechnen), doch gibt es auch Gefahren?
Das digitale Zeitalter bestimmt unser Leben im hohen Maße. Klar, man muss die Vergangenheit nicht verklären, denn nicht alles war „in der guten alten Zeit“ super und toll. Allerdings sollte man auch nicht den Fehler begehen, dies für den aktuellen gesellschaftlichen Wandel zu tun, denn auch heute ist nicht alles Gold, was glänzt (auch wenn uns Medien und Politiker das nur allzu oft weismachen wollen). Ein wenig Entschleunigung und Rückbesinnung auf menschliche Werte wären angeraten. Nicht jedes Kind braucht schon von klein auf ein Smartphone, ein Tablet, einen Computer oder ähnliche Spielereien, zumal zu 99 % damit wirklich nur gespielt wird. Nicht jedes Kind muss von den Eltern immer und überall telefonisch erreichbar sein (flap – flap – flap – hören Sie den Helikopter?). Das ist allerdings nur meine ganz persönliche Meinung. Welchen Lerneffekt haben die Kinder, indem sie ständig ein Smartphone bei sich tragen? Von den negativen Auswirkungen, wie zum Beispiel Cyber-Mobbing, ganz zu schweigen, was inzwischen an jeder Schule ein Thema ist (man redet nur nicht öffentlich darüber).
Eine Sache, die mir als Lehrer verstärkt auffällt, ist die immer geringer werdende Lesekompetenz bei den Schülerinnen und Schülern. Man sollte ja meinen, dass es Schüler einer 9. Klasse (im Alter von 14 bis 16 Jahren) schaffen sollten, im Rahmen einer Prüfung einfache Fragen zu einem Text in ganzen deutschen Sätzen zu beantworten. Weit gefehlt, denn was man da alles bei der Korrektur zu lesen bekommt, hätten zu meiner Schulzeit die meisten Viertklässler stilistisch besser ausdrücken können. Ich freue mich dann immer kein Deutschlehrer zu sein. Die armen Kollegen müssen sich regelmäßig und seitenweise damit herumschlagen, was Schüler so schreiben. Satzzeichen sind oft generell nicht vorhanden. Groß- und Kleinschreibung ebenso wenig und von der Schreibung einfacherer Wörter wollen wir gar nicht reden. Wichtig ist jedoch in unserer „digitalen Zeit“, dass die lieben Kindlein eine Nachricht in Sekundenschnelle in ihr Handy tippen können und wissen, wie man googelt.
Versteht mich bitte nicht falsch. Ich habe nichts gegen Fortschritt und Dinge, die uns das Leben erleichtern. Wenn jedoch dabei grundlegende Kompetenzen auf der Strecke bleiben und unsere digitalisierungsverliebten Politiker den Lobbyisten der Computerindustrie nach dem Mund reden (die verdienen nämlich gut daran), dann stellt sich mir die Frage, ob damit wirklich viel gewonnen werden kann.
Inzwischen gibt es an meiner Schule für die fünften Klassen einmal in der Woche eine „Lesestunde“. Da sitzen sie dann und lesen laut und leise Geschichten, fragen nach dem Inhalt und erfreuen sich an den Worten. Waren das nicht Dinge, die wir „Ältere“ an der Grundschule in den ersten Klassen auf dem Stundenplan hatten? Ist das nicht ein Eingeständnis, dass man in den unteren Schuljahren so einiges vergessen hat, wie zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen Lesen zu Hause zu motivieren und zu begeistern? Also ich weiß nicht so recht. Wenn ich mich an meine Kindheit und Jugend so zurückerinnere, dann habe ich Bücher regelrecht gefressen. Irgendwie haben das ganz viele meiner Freundinnen und Freunde getan, was sicherlich auch daran lag, dass wir nicht tagein tagaus von blinkenden und piependen Gerätschaften in Beschlag genommen wurden. Kaum ein Schüler hält es doch heute länger als einen Schulvormittag ohne sein Smartphone aus. Ein Kollege von mir bezeichnete sie Geräte auch als „Geißel der Menschheit“. In manchen Städten gibt es sogar schon Schilder, die vor Menschen warnen, die laufend, alles andere vergessend auf ihr Smartphone glotzen. Man nennt sie auch „Smombies“ (Smartphone-Zombies).
Zur Klarstellung. Ich möchte hier nicht generell gegen Smartphones sprechen, denn es ist einfach der Wandel unserer Zeit, der sie mitgebracht hat und natürlich soll auch jede und jeder damit glücklich werden. Allerdings weniger glücklich sind oft wir Lehrer damit. Ich führe den Mangel an Schreib- und Lesekompetenz massiv darauf zurück, dass vor allem die Kinder zu wenig daheim lesen und sich stattdessen zu viel mit anderen Dingen beschäftigen, die vermeintlich wichtiger sind. Dass man viele Jugendliche ab einem bestimmten Alter mit Büchern nicht mehr locken kann, ist wieder eine andere Geschichte. Ich finde jedoch, dass gerade die Grundschulzeit und die ersten Jahre an einer weiterführenden Schule (von der 1. bis zur 7. Klasse) eine wertvolle Zeit ist, in der man seine Kinder für das Lesen begeistern und ihre Neugier hierbei verstärkt fördern sollte. Kinder und Jugendliche, die viel lesen beziehungsweise gelesen haben, haben einen besseren Ausdruck in schriftlichen Prüfungen, einen breiteren Wortschatz (Lesen bildet!) und ein weitaus besseres Textverständnis. Man glaubt nicht, wie schwer sich Kinder in Mathe mit Textaufgaben tun, weil sie selbst den Inhalt der kurzen Texte und die Fragestellungen nicht hinreichend erfassen können. Sinnerfassendes Lesen ist inzwischen zu einem recht großen Defizit bei vielen Schülern geworden. Da hilft leider auch keine App mehr.
An unserer Schule gibt es eine kleine Schülerbücherei, an die ich immer wieder auch gelesene Rezensionsexemplare spende. Ich halte es für überaus wichtig, dass Kinder zwar nicht unbedingt viel, aber zumindest regelmäßiger Bücher lesen, um diese Kompetenz zu schulen und ihr Textverständnis, sowie ihre schriftliche Ausdrucksweise zu verbessern. Es wäre nicht nur wichtig für ihre weitere schulische Laufbahn, sondern auch sonst auf ihrem weiteren Lebensweg. Und wenn das Kind schon keine Bücher in die Hand nimmt, vielleicht hilft ja ein E-Book-Reader…
Hi Jay,
du sprichst mir aus dem Herzen.
Diese fehlende Grundkompetenz zieht sich später im Leben weiter, auch bei der sogenannten Bildungselite. Ich korrigiere Bachelor- und Master-Arbeiten an einer FH und was man da an stilistischen Katastrophen, Rechtschreib- und Grammatikfehlern präsentiert bekommt, hätte zu meiner Zeit niemanden durch die Deutsch-Matura gebracht. Schade, denn damit schränkt man die jungen Leute nicht nur ein, sondern nimmt ihnen auch schöne Stunden mit spannenden Geschichten, bei denen man sogar auf angenehme Weise etwas lernen kann.
Liebe Grüße,
Astrid
Hallo Astrid,
ich vermute schon, dass sich das Problem durch alle Schularten zieht. Vielen Dank für deinen Kommentar. Wollen wir hoffen, dass die Politik endlich gegensteuert. Das Erlernen der korrekten Rechtschreibung muss, ebenso wie das Lesen, wieder mehr in den Mittelpunkt der schulischen Ausbildung gerückt werden.
Viele Grüße
Jay