Die Zivilisation, mit all ihren Regeln, Verboten und Gesetzen, war die Angst, welche die wilde Bestie Mensch daran hinderte, die wilde Bestie Mensch zu sein. Aber jetzt war die Macht der Angst plötzlich zahnlos, die Zivilisation dabei zu zerfallen.
Michael Tietz – Rattentanz
Am 23. Mai, genau um 7.00 Uhr morgens, wird die Welt von einer Katastrophe heimgesucht, die das Leben von Milliarden Menschen schlagartig ändern soll. Eva Seger hat gerade ihre Schicht im Krankenhaus begonnen, ihr Mann Hans ist beruflich nach Schweden geflogen und Eckard Assauer sitzt mit seiner Tochter und seinem Enkel im Airbus über der Schwäbischen Alb, als auf der ganzen Welt plötzlich der Strom ausfällt und fast jede Elektronik aufhört zu funktionieren. Flugzeuge stürzen vom Himmel, Radios und Fernseher verstummen, Telefone werden nutzlos. Die Zivilisation bricht zusammen und befindet sich plötzlich wieder im Mittelalter. Schon bald regieren Chaos und Anarchie die Straßen, denn Recht und Ordnung kann nicht mehr durchgesetzt werden und jeder Mensch ist sich selbst der Nächste, wenn es ums nackte Überleben geht und die Nahrungsmittel langsam knapp werden. In dieser neuen Welt will Hand Seger nur eines, zurück nach Hause zu seiner Frau und seiner Tochter. Doch es ist weit von Schweden in den Schwarzwald, sehr weit, und er Weg führt inzwischen durch ein Land voller Gefahren… (Rattentanz)
Titel: Rattentanz Autor: Michael Tietz Verlag: Ullstein Seitenzahl: 837 Genre: Endzeit, Dystopie Alter: 16+ Erste Aufl.: 12. Mai 2010 Ausgaben: Hardcover, Taschenbuch, E-Book, Hörbuch ISBN: 978-3548282510 (TB)
Über das Buch und den Autor von Rattentanz
Rattentanz ist der Debütroman des Autors Michael Tietz und erschien im Mai 2011 beim Ullstein Verlag. Inzwischen ist er auch als Hörbuch und E-Book erhältlich. Die broschierte Ausgabe hat 837 Seiten, aufgeteilt in 108, zum Teil recht kurze Kapitel, plus einen Prolog und einen Epilog. Die Handlung wird aus der Perspektive verschiedener Hauptcharaktere erzählt.
Michael Tietz wurde 1965 in Chemnitz geboren und ist gelernter Krankenpfleger. Er flüchtete 1989, kurz vor dem Fall der Mauer nach Westdeutschland, wo er blieb. Inzwischen hat er eine Frau und einen Sohn und wohnt in Bonndorf, eine Gemeinde mit knapp 7.000 Einwohnern, im Südschwarzwald, wo auch ein Großteil der Handlung von Rattentanz spielt. Sein Debütroman entstand innerhalb von nur 12 Monaten von Januar bis Dezember 2007. Im Jahr 2011 erschien schließlich sein zweiter Roman Apfeldiebe.
Meine Meinung zu Rattentanz
Eigentlich bin ich ja zuerst über Michael Tietz‘ zweites Buch Apfeldiebe gestolpert, dessen Klappentext mich sofort für das Buch einnahm. Da der Autor jedoch bisher nur zwei Bücher veröffentlicht hat und ich zudem Dystopien gerne lese, musste ich einfach zuerst seinen Debütroman lesen, der zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung ziemlich oft verkauft wurde und auch gute Kritiken erhielt. Mit über 830 Seiten ist Rattentanz nicht gerade ein Leichtgewicht, aber es hat sich gelohnt. Viele Dystopien ähneln sich bereits im Inhalt und auch diesmal ist die Rahmengeschichte von Rattentanz nicht grundlegend neu. Stromausfälle gab es auch schon in anderen Büchern (z. B. in Blackout von Marc Elsberg), daher kam es mir vor allem auf die schriftstellerische Umsetzung des Themas an und ob es der Autor schaffen würde mich als Leser mitzureißen. Vorgestern habe ich das Buch beendet und ich finde, dass Michael Tietz mit Rattentanz ein recht guter Wurf gelungen ist. Es konnte mich von der ersten bis zur letzten Seite fesseln.
Der Hauptteil der Handlung spielt in der fiktiven Stadt Wellendingen, nicht weit von Bonndorf, dem Heimatort von Michael Tietz. Schon zu Beginn des Buches lernt man einige der wichtigsten Charaktere kennen, denn die meisten sind Einwohner von Wellendingen. Obwohl es relativ viele Namen sind und man beim Lesen hin und wieder überlegen muss, wer nun wieder wer war, ist der Handlung gut zu folgen, denn es gibt klare Handlungsstränge, die Michael Tietz verfolgt und zwischen denen er immer wieder wechselt. Gut hat mir gefallen, dass er sich nicht ausschließlich auf seine Hauptcharaktere konzentriert, sondern immer wieder in Nebenhandlungen auch Einzelschicksale in den Fokus rückt, um zu zeigen, wie es in der Welt zugeht. Dass die Lage wirklich ernst ist, merkt man spätestens, als nicht nur Nebencharaktere umkommen, sondern auch Protagonisten, die man bereits über viele Kapitel auf ihrem Weg begleiten durfte. Michael Tietz entfesselt die Bestie Mensch getreu nach Ciceros Zitat
Oft ist der Mensch sich selbst sein größter Feind.
Cicero
Immer wieder geht die Gefahr von den Mitmenschen aus die, getrieben von Hunger, Misstrauen, Machtgier, Rachsucht, Egoismus und dem Willen zu überleben, auch vor schrecklichsten Taten nicht halt machen. Mir persönlich ging es fast ein bisschen zu schnell mit der Anarchie und dem Chaos, wie es der Autor beschreibt. Nur weil im Supermarkt mal der Strom ausfällt, heißt das ja nicht, dass alle bisher unbescholtenen Kunden sofort zu Plünderern werden und den Laden leer räumen. Im Buch ging der Umschwung zur Anarchie sehr schnell, in der Wirklichkeit würde ich der Zivilisation wohl noch ein paar Stunden mehr bis zum völligen Zusammenbruch geben, weil ich glaube, dass unser Rechtsempfinden uns schon zunächst von Straftaten abhalten würde. Vielleicht nicht in den anonymen Großstädten, ganz sicher jedoch in ländlichen Gegenden, wo jeder jeden kennt. Das ist einer meiner wenigen Kritikpunkte an der Handlung. Bisweilen waren mir auch die eigentlich „guten“ Vertreter von Recht und Ordnung zu schnell auf der falschen Seite. Desertierte Soldaten, die alte Leute zum Spaß an Bäumen aufhängen oder mit einem Panzer Schießübungen auf Kirchtürme machen, fand ich etwas überzogen. Das wäre mein zweiter Kritikpunkt. Ansonsten kann ich nur sagen gute Umsetzung. Ich mag den Schreibstil des Autors, wie er sich auf die emotionale Ebene der Betroffenen begibt und wie er selbst Nebencharakteren ein Gesicht und eine Hintergrundgeschichte verleiht. Dadurch wird das ihnen zugetragene Leid noch greifbarer, die verzweifelte Lage noch eindrucksvoller. Die Strategien mit der neuen Situation umzugehen sind zum Teil grundverschieden und der Egoismus der Menschen kommt immer wieder zum Vorschein, da die gewohnten Normen plötzlich nicht mehr gelten. Die Beziehungen der Menschen untereinander und ihre Gefühle spielen in der Handlung also eine sehr große Rolle.
Michael Tietz rundet die Geschichte glaubhaft ab und lässt dem Leser dabei genug Raum für eigene Gedanken nach der letzten Seite. Bei mir selbst blieben kaum wesentliche Fragen offen, auch wenn nicht jedes Schicksal jeder Nebenperson explizit geklärt wurde.
Mein Fazit
Ein gutes Buch, das zur Abwechslung mal in Deutschland spielt und dessen Handlung in vielen Punkten glaubhaft bleibt. Rattentanz ist eine Dystopie, die ich, trotz weniger Kritikpunkte, empfehlen kann. Zumindest ist es ein würdiges Debüt, das Lust auf weitere Bücher des Autors macht. Ich freue mich schon jetzt auf Apfeldiebe.
Danke für die Rezension. Klingt durchaus spannend. Auch, wenn es vermutlich sogar mir zu lange erscheint. 😀
Es ist ganz gut umgesetzt. Ich habe schon wesentlich schlechtere Dystopien gelesen und diese spielt zur Abwechslung mal in Deutschland (was mir ebenfalls gut gefallen hat).
VG
Jay
Es liest sich wirklich schnell weg. 🙂