Mauern haben immer zwei Seiten. Auf der einen bieten sie Sicherheit, auf der anderen sperren sie aus.
Alexander Stapper: Zwei Seiten einer Mauer
Unter Theos Füßen, die von der Mauer herabbaumeln, haben sich einige von ihnen angesammelt. Sehen kann er sie nicht. Einzig das leise Kratzen am Stein und das Röcheln sagen ihm, dass sie da sind. Bestimmt greifen ihre Hände nach seinen Füßen. Ob sie wohl irgendwann begreifen, dass ihre Bemühungen völlig sinnlos sind? Sie können es noch so oft versuchen, die letzten Meter fehlen am Ende doch. Die obere Kante bleibt für sie unerreichbar.‘
Nach einer weltweiten Epidemie wächst Theo hinter einer hohen Mauer auf, die ihn vor den Infizierten beschützt. Die Katastrophe liegt weit zurück, Ordnung und Struktur sind wieder eingekehrt. Doch eines Abends macht er eine Entdeckung, durch die sein gesamtes Weltbild ins Wanken gerät… (Klappentext)
Titel: Zwei Seiten einer Mauer Autor: Alexander Stapper Verlag: BoD Seitenzahl: 348 Genre: Dystopie Alter: 16+ Erste Aufl.: 02. Dezember 2015 Ausgaben: Taschenbuch, E-Book, Hörbuch ISBN: 978-3739212074 (TB)
Meine Meinung zu Zwei Seiten einer Mauer
Wenn mir dystopische Romane zur Rezension angeboten werden, kann ich eigentlich nie widerstehen. Es war daher klar, dass ich auf Alexander Stappers Anfrage hin gleich zugreifen musste und bereits am folgenden Tag das Buch fertig gelesen habe. Was soll ich sagen? Es hat mich überzeugt.
Unzählige Dystopien junger Autoren sind in den letzten Jahren auf den Markt gekommen und wahrlich nicht jeder ist die Zeit oder das Geld wert. Bei Zwei Seiten einer Mauer lohnt sich zumindest ein längerer Blick.
Theo und seine Freunde wachsen in einer sicheren Stadt auf. Eine meterhohe Mauer umgibt sie und sperrt die Infizierten aus, Zombie-ähnliche Menschen, die seit einer großen Epidemie vor ein paar Jahrzehnten die Welt heimsuchen. In der Stadt tut man alles, um das Überleben der Bewohner zu sichern und zu schützen. Man arbeitet hart und kommt dennoch nur gerade so über die Runden. Elektrizität und Nahrungsmittel sind knapp, trotzdem versucht man ein einigermaßen normales Leben zu führen. Theo ist die Hauptfigur des Romans, ein Junge, der zur Schule geht, mit seinen Freunden Sport treibt und heimlich Hanna liebt, das Mädchen aus seiner Klasse. Der Fokus der Erzählung liegt sehr stark auf Theos Eindrücken von der Welt und seinen Gefühlen für seine Freunde und die Familie. Obwohl die ummauerte Stadt ein Ort ist, der eigentlich einem Gefängnis gleichkommt, man darf und kann die Stadt nicht verlassen, unterscheidet sich Theos Leben in vielerlei Hinsicht nicht vom Leben „normaler“ Jungs in unserer realen Gegenwart. Auch er hasst die Schule, auch er hat eine heimliche Liebe, auch er hat große Pläne für die Zukunft und er möchte so gerne seinem Gefängnis entfliehen und die Welt „da draußen“ kennenlernen. Die Handlung zeigt viele Merkmale einer Dystopie. Zum Beispiel gibt es viele strenge Regeln und Vorschriften, die den Menschen in der Stadt von einem geheimnisvollen „Oberen Rat“ auferlegt werden. Natürlich zum Wohle der Allgemeinheit, wobei Regelüberschreitungen mit hohen Strafen geahndet werdet und oft auch in die soziale Isolation führen. Alles wird überwacht und obwohl die Menschen nach außen hin glücklich zu sein scheinen, sind sie doch nicht frei und Gefangene des Systems. Ein wenig erinnert das Szenario an George Orwells Roman 1984, welcher als DER dystopische Klassiker gilt. Alexander Stappert verflechtet in seinem Roman die bekannten Elemente dystopischer Romane zu einer durchdachten und spannenden Handlung.
Gut fand ich, dass die zombieartigen Infizierten tatsächlich nur eine Nebenrolle spielen. Sie werden auch nicht detailliert beschrieben und Kämpfe mit ihnen gibt es ebenfalls kaum. Sie stehen lediglich für die Bedrohung der Menschen außerhalb ihres eigenen Gefängnisses. Der Schwerpunkt der Erzählung liegt vor allem auf den Beziehungen der Menschen zueinander, auf Liebe und Freundschaft und auf dem festen Glauben an eine bessere Welt. Man kann Theo, Hanna und seinen besten, stotternden Freund Pitz von Beginn an nur gerne haben, zumal man als Leser tiefe Einblicke in Theos Gedankenwelt bekommt. Der Junge ist schüchtern, traut sich nicht Hanna seine Liebe zu gestehen und sehnt sich dennoch sehr nach ihr. Hanna hingegen wartet auf Theos Annäherung, denn auch sie mag ihn sehr. Der Autor hat diese heimliche Liebe sehr gut beschrieben. Theos Beziehung zu seinen Eltern wird stark belastet durch seinem großen Entdeckungsdrang einerseits und den Vorstellungen seines strengen Vaters, dessen Stellung in der Gesellschaft keine Regelverstöße zulässt, andererseits.
Theo und seine Freunde sind einem großen Geheimnis auf der Spur und bringen mit ihrer kindlichen Neugier auch die eigenen Familien in große Gefahr. Ich fand das sehr spannend.
Neben den ganzen positiven Aspekten gibt es leider auch ein bisschen Kritik. Zum einen waren manche Verhaltensweisen und Dinge in meinen Augen nicht immer logisch und nachvollziehbar. Streng genommen hätte sich dadurch die Handlung in eine andere Richtung wenden müssen. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, um nicht zu viel vom Inhalt zu verraten, aber die Ungereimtheiten fallen manchmal auf. Der Schluss des Buches ist, sagen wir mal, ziemlich unerwartet und kaum vorauszusehen. Ich war ziemlich beeindruckt, sage jedoch gleich, dass der Abschluss nichts für schwache Nerven ist. Gleichzeitig birgt er einiges Potenzial für eine Fortsetzung. Ob es jedoch eine geben wird, muss man sehen. Schön wäre es.
Mein Fazit
Zwei Seiten einer Mauer ist ein ansprechender dystopischer Roman, der vor allen von den Pro- und Antagonisten lebt und ihre Beziehungen zueinander in den Fokus rückt. Gewalt gibt es nur wenig und auch die infizierten Gegner spielen eine eher untergeordnete Rolle. Das Buch ist stilistisch sehr gut geschrieben und flüssig und spannend zu lesen. Vor allem in der zweiten Hälfte ist es für mich schwer gewesen es beiseite zu legen. Die Charaktere sind glaubhaft und ich konnte mich gut in sie hinein versetzen. Insbesondere Theo war herausragend. Trotz der Kritik gibt es von mir eine Leseempfehlung.
Auch um eine Mauer geht es im Roman Die Mauer von John Lanchester.