Celestines Leben scheint perfekt: Sie ist schön, bei allen beliebt und hat einen unglaublich süßen Freund.
Doch dann handelt sie in einem entscheidenden Moment aus dem Bauch heraus. Und bricht damit alle Regeln. Sie könnte im Gefängnis landen oder gebrandmarkt werden – verurteilt als Fehlerhafte. Denn Fehler sind in ihrer Welt nicht erlaubt. Nichts geht über die Perfektion. Auch nicht die Menschlichkeit. Jetzt muss sie kämpfen – um ihre eigene Zukunft und um ihre große Liebe. (Quelle: Fischer Verlag)
Titel: Flawed – Wie perfekt willst du sein? Autorin: Cecelia Ahern Verlag: Fischer Verlage Seitenzahl: 480 Reihe: Flawed #1 Genre: Roman Alter: 13+ (all-age) Erste Aufl.: 27. März 2019 Ausgaben: Hardcover, Taschenbuch, E-Book, Hörbuch ISBN: 978-3596033836 (TB) Folgeband: Perfect (Flawed #2) Sonstiges: –
Flawed – Love it or hate it!
Eine englische Leserin von Flawed hat das Buch mit dem Marmite-Slogan „Love it or hate it“ beschrieben. Marmite ist ein typisch britischer Brotaufstrich aus Hefeextrakt und diversen Gewürzen, der im Vereinigten Königreich sehr verbreitet ist. Allerdings gehen die Meinungen bezüglich des Geschmacks stark auseinander. Entweder man mag das Zeug oder man mag es eben nicht. Das weiß auch der gleichnamige Hersteller und fragt auf seiner Website: „Are you a lover or a hater?“
Allerdings scheinen die Meinungen über Flawed nicht so weit auseinander zu gehen, wie obige Leserin dies zu wissen meint. Ein recht großer Teil der Bewertungen zu Cecelia Aherns Buch auf Goodreads ist durchaus positiv. Auch ich würde in Bezug auf Flawed nicht gerade von Hass sprechen, jedoch konnte es mich in weiten Teilen nicht überzeugen und ich verstehe deshalb auch die vielen sehr guten Bewertungen nicht. Aber die Geschmäcker sind eben verschieden, was sowohl Marmite aber auch was Literatur betrifft.
Flawed ist tatsächlich mit Mängeln behaftet
Der englische Begriff „flawed“ bedeutet auf Deutsch „fehlerhaft, mit Mängeln behaftet“. Es ist ein Begriff, der auf Cecelia Aherns Buch (es ist übrigens ein Zweiteiler) in meinen Augen zutrifft. Sie selbst schreibt dazu, es wäre ihr erster All-Age-Roman gewesen und die vielen Ideen dafür hätten sie „fast überrollt“. Mag sein. Allerdings hätte sie einige dieser Ideen vielleicht einmal kritisch hinterfragen und auf ihre Logik hin prüfen sollen. Die Handlung wäre dann auch schlüssiger gewesen.
Eine durch und durch kranke Gesellschaft
Fehlerhaft: Die Gesellschaft, die in Flawed beschrieben wird, in der die Mitglieder keine Fehler machen dürfen, die von der Gesellschaft unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten als verwerflich angesehen werden. Dies rührt von schlechten Erfahrungen aus der Geschichte her, die den Staat einst an den Rand des Abgrunds brachten. Um die Fehler nicht zu wiederholen, ist es verboten diese moralisch-ethischen Fehltritte zu begehen, weil sie der Gesellschaft schaden. Ok, ziemlich dystopisch, ziemlich totalitär. Wenn also jemand solch einen Fehltritt macht, was auch völlig unbeabsichtigt sein kann, und wird von einem anderen denunziert, weil dieser es als unmoralisch erachtet, riskiert man eine Verurteilung, die Brandmarkung und damit den lebenslangen Ausschluss aus der Gesellschaft. Ich schreibe mal ein Beispiel: Da wird eine Familie als fehlerhaft gebrandmarkt, weil sie ihren todkranken Sohn eigenverantwortlich aus dem Krankenhaus genommen haben, um ihn in einem anderen Land (erfolgreich) medizinisch behandeln zu lassen. Begründung des Gerichts: Er hätte dabei sterben können. Und die Gesellschaft findet das absolut in Ordnung, dass die Eltern bestraft werden. Tut mir leid, das ist für mich völlig unglaubwürdig.
Für eine Brandmarkung reicht es aber auch schon als Jugendlicher etwas stärker über die Stränge zu schlagen oder, und jetzt wird es völlig absurd, einem gebrandmarkten Menschen in Not zu helfen. Es ist also unmoralisch/unethisch zu helfen, der dringend Hilfe benötigt? Kann mir das bitte mal jemand erklären, wo da die Logik versteckt sein soll?
Es kommt also zu einer Gerichtsverhandlung. Vorher wird man auf dem Weg zum Gerichtssaal noch nach guter mittelalterlicher Tradition (moralisch/ethisch völlig einwandfrei) vom hassenden Mob mit Obst und Gemüse beworfen. Ist man dann schließlich gebrandmarkt, gilt man fortwährend als Mensch zweiter Klasse und hat massive Einschränkungen für den Rest seines bescheidenen Lebens zu erdulden. Dass man Fehlerhaften nicht helfen darf, weil man sonst riskiert, selbst gebrandmarkt zu werden, hatten wir ja bereits. Menschlichkeit gegenüber Außenseitern ist also riskant und verpönt. Durchgesetzt werden diese Regeln von einer Nicht-Regierungs-Organisation mit ziemlicher Willkür. Alles klar.
Ich verstehe, dass Cecelia Ahern hier vermutlich versucht harsche Gesellschaftskritik zu üben und in ihrem Buch selbstverständlich dafür wirbt, trotz vieler Widerstände menschlich zu handeln und gegen Unrecht aufzubegehren. Allerdings ist das für mich nicht der entscheidende Kritikpunkt. Ich kritisiere, dass diese beschriebene Ideologie mit ihren Regeln dermaßen überzogener Humbug ist. Sie ist in sich nicht schlüssig (aber das sind Ideologien ja häufig nicht). Damit ist das ganze Konstrukt einfach nicht glaubwürdig.
Im Buch kommen ganz viele verschiedene weitere Regeln dieser seltsamen Ideologie zur Sprache. Zum Beispiel dürfen Fehlerhafte nicht auf dem gleichen Friedhof beerdigt werden, wie Nicht-Fehlerhafte. Sie dürfen nur noch bestimmte Speisen essen. Dürfen maximal nur zu zweit nebeneinanderstehen. Haben eine Sperrstunde einzuhalten. Und so weiter und so fort.
Mal zum Nachdenken
Was mich beim Lesen jedoch nachdenklich stimmte, waren manche Parallelen zur realen Situation in Deutschland (und jetzt wird’s ein bisschen politisch). Mir scheint, als ob dieses „Brandmarken“ inzwischen (im übertragenen Sinne) massiv Einzug in unsere Gesellschaft gefunden hat. Man kennt das zum Beispiel unter dem Begriff „Kontaktschuld“. Heutzutage wird man ja bereits in eine Schublade gesteckt, wenn man sich mit den „falschen Leuten“ trifft. Wenn man mit seiner Meinung nicht dem linken Mainstream folge, macht einen das noch lange nicht zum Staatsfeind, der die Demokratie bedroht. Wer Waffenlieferungen in die Ukraine kritisiert ist auch noch nicht automatisch ein „Putinfreund“. Was ich sagen möchte: In einer Demokratie darf man durchaus und jederzeit eine eigene Meinung vertreten und in den Diskurs einbringen, ohne Repressalien befürchten zu müssen und öffentlich „gebrandmarkt“ zu werden. Mir scheint, das haben wir in den vergangenen Jahren verlernt, nämlich andere Meinungen zulassen und sachlich zu diskutieren, ohne denen gleich einen Stempel aufzudrücken, die nicht meine Meinung teilen. Das beunruhigt mich sehr und lässt mich an unserer Demokratie zweifeln.
Oberflächliche, unglaubwürdige Charaktere
Die wichtigste Protagonistin, um die sich die Geschichte in Flawed dreht, heißt Celestine. Sie sagt von sich voller Überzeugung, sie wäre in allen Bereichen perfekt. Perfekt muss sie auch sein in der oben beschriebenen nach Perfektion strebenden Gesellschaft. Leider geht mit Celestines Perfektion auch ein gehöriges Maß an Oberflächlichkeit einher. Ich habe selten eine solch langweilige Protagonistin erlebt. Kein charakterlicher Tiefgang, keine tiefen Gefühle. Sie hat einen Freund (zufällig gleich der Sohn des schlimmsten Antagonisten), den sie sehr liebt und vermisst, gleichzeitig träumt sie aber vom Bad Guy der Geschichte, den sie nicht mehr vergessen kann und den sie unbedingt wiedersehen muss. Auf der einen Seite beschreibt sie sich als berechnend (sie ist natürlich die Allerbeste in Mathe) und überaus logisch denkend, andererseits ist sie dermaßen naiv, dass es schon weh tut. Ich wurde aus dieser Celestine überhaupt nicht schlau.
Aber auch viele andere Personen legen in der Handlung ein Verhalten an den Tag, das bestenfalls zweifelhaft ist, schlimmstenfalls unglaubwürdig. Beim Lesen wurde mir klar, dass die Autorin viele der Schikanen gegen Fehlerhafte nur aus einem Grund so ausführt. Sie will es den Leserinnen und Lesern permanent unter die Nase zu reiben, wie schrecklich ungerecht diese Gesellschaft tatsächlich ist. Es spricht auch nichts dagegen, die Emotionen beim Leser etwas anzuheizen. Spätestens im zweiten Teil der Reihe wird der Spieß sicherlich herumgedreht werden. Allerdings sollte das dann nicht so platt, oberflächlich und offenkundig geschehen, dass man dabei nur ständig den Kopf schütteln muss. Ich glaube, ich habe mir noch nie so oft beim Lesen an den Kopf gelangt, wie bei Flawed. Ich möchte hier nicht weiter ins Detail gehen, um nicht zu spoilern, aber überzeugen konnte mich das nicht.
Im Übrigen strotzt das ganze Buch nur so von Stereotypen. Da gibt es zum Beispiel den mysteriösen Bad Guy Carrick. Gutaussehend, durchtrainiert, unnahbar und geheimnisvoll. Ein Typ, in dem sich schwache, perfekte Mädchen durchaus mal verlieben. Dann natürlich die strenge, unnachgiebige Kontroll-Gouvernante, die nur für die Ideologie lebt und sich nicht scheute, dafür ihre eigene Familie ans Messer zu liefern. Gerechtigkeit geht schließlich über alles! Und nicht zuletzt die Mutter, der Mode und gutes Aussehen wichtiger scheint, als alles andere, was um sie herum geschieht, um nur einige zu nennen. Sie alle tragen nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der Handlung bei.
Unglaubwürdiger Personenkult
Vergleicht man Celestine mit Katniss Everdeen, der Protagonistin aus Die Tribute von Panem, dann gibt es ein paar Parallelen. Beide kämpfen gegen ein Regime. Beide machen wirklich einiges durch und leiden unter Repressalien. Beide werden zur großen Hoffnung der Gegenbewegung hochstilisiert, zu Bringerinnen des Heils für die Unterdrückten. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied: Katniss hat sich diesen Ruf durch ihr Handeln verdient und es ist für die Leser nachvollziehbar und auch glaubhaft, dass die Menschen irgendwann so über sie denken. Bei Celestine ist es nicht nachvollziehbar, warum plötzlich hunderte Menschen sie zu etwas machen wollen, zu der sie selbst kaum etwas beigetragen hat. Celestines Handeln rechtfertigt in keinster Weise die große Aufmerksamkeit, die man ihr zukommen lässt. Cecelia Ahern versucht in meinen Augen aus Celestine eine Katniss zu machen und diesen blassen, langweiligen Charakter zu einer schillernden Figur im Buch zu stilisieren.
Gibt es denn auch Positives zu berichten?
Ja, das gibt es auch. So seltsam die Handlung und die Personen des Buches auch sein mögen, es war trotzdem irgendwie spannend. Trotz beständigem Kopfschütteln und Gefahr eines Schädel-Hirn-Traumas habe ich es doch in zwei Tagen lesen können. Ich wollte wissen, ob noch etwas Unfassbares geschieht. Wollte mich vielleicht auch vergewissern, ob es vielleicht doch zum Schluss noch besser wird. Na ja, eigentlich konnte es mich nicht so richtig überzeugen.
Das Buch ist natürlich nicht abgeschlossen. Es gibt einen zweiten Teil mit dem Titel Perfect, den ich gerade auch schon lese. Zum Glück hatten sie den in der Bücherei, denn dafür würde ich kein Geld ausgeben wollen. Flawed selbst wird in meinem Regal auch keinen festen Platz einnehmen. Das Buch geht als Spende an unsere Schulbücherei. Sicherlich gibt es unter den Schülerinnen und Schülern jemanden, der es mag. Lieben oder hassen, so wie Marmite.
Fazit zu Flawed
Insgesamt konnte mich Flawed nicht überzeugen. Die hinterlegte Ideologie ist in weiten Teilen unglaubwürdig, die Personen langweilig und klischeebehaftet, die Handlung oft vorhersehbar. Es gibt eine gewisse Spannung, vor allem weil man wissen möchte, wie die Bösen am Ende ihr Fett wegbekommen. Ob das allerdings das Kraut fett macht, wage ich zu bezweifeln. Es soll aber durchaus Menschen geben, denen das Buch zusagt. Ich denke, es gibt weitaus besseres, um Lesezeit zu investieren.
Jay
Schönen guten Morgen!
Das Buch hatte ich sehr lange auf meiner Wunschliste und wusste nie so recht, ob ich es lesen soll oder nicht. Die Rezensionen die ich bisher gesehen hatte waren tatsächlich positiv ^^
Das System, das hier beschrieben wird, finde ich gar nicht so sehr an den Haaren herbeigezogen. Ich denke, dass sowas oft genug leider passiert, so unglaubwürdig es einem normal denkenden Menschen vorkommt, aber der Herdentrieb und Propaganda machen das leider möglich.
Seine Meinung offen zu sagen… ja das wird angepriesen und immerhin wird man für das meiste bei uns ja nicht eingesperrt. Aber eben ausgegrenzt, belächelt oder sonstwie negativ behaftet. Du hast das sehr schön beschrieben, dem kann ich eigentlich gar nichts groß hinzufügen.
Glaubhaft wäre es für mich wohl dennoch, also das Konzept im Buch, so von außen kann ich das schlecht beurteilen. Aber ich glaube, insgesamt würde ich mit der Geschichte auch nicht so warm werden.
Liebste Grüße, Aleshanee
Hallo Jay,
das „Brandmarken“ hat während der Corona-Hysterie enorm zugenommen. Ich stimme Dir zu, dass viele Abweichler(gruppen) stigmatisiert, ausgegrenzt und bestraft wurden und immer noch werden…
Freie, ungesühnte Meinungsäußerungen gibt es meiner Meinung nicht mehr.
Viele Grüße
Wolfram
Hallo Wolfram,
das sehe ich auch so. Irritierend finde ich in dem Zusammenhang, dass immer noch fest behauptet wird, man könne in Deutschland doch nach wie vor seine Meinung offen sagen. Klar, kann man. Kann man auch in jeder Diktatur. Allerdings muss man dann damit rechnen abgestempelt zu werden und im schlimmsten Fall ist man seinen Job los, wenn dem Chef die Meinung zufällig nicht passt. Eine Meinung lässt man seit Jahren prinzipiell nur noch dann gelten, wenn sie den Mainstream-Vorstellungen der politischen und medialen Kaste entsprechen. Ich denke dabei nur an Journalistinnen und Journalisten die gehen mussten, weil sie die falschen Worte wählten (im besten Deutschland aller Zeiten).
Viele Grüße
Jay