19. April 2024

Political Correctness in (Kinder-)Büchern?

Political correctness

Hallo zusammen.
Wie manche vielleicht mitbekommen haben, war ich für ein paar Tage mit einigen Schülerinnen und Schülern in den Vereinigten Staaten und durfte dort die warme Sonne der Südstaaten genießen.

Voller neuer Eindrücke sind wir am vergangenen Wochenende wieder im vergleichsweise kalten Deutschland gelandet. Seither freuen wir uns über jedes Bisschen Sonne und über langsam steigende Temperaturen.

Amerika ist ein Land vieler Gemeinsamkeiten und auch Gegensätze. Hier leben Menschen verschiedenster Kulturen, Weltanschauungen und Religionen zusammen und versuchen mehr oder weniger miteinander auszukommen. Die bunte Gesellschaft ist natürlich nicht von heute auf morgen entstanden, sondern ist über viele Jahrhunderte nach und nach gewachsen. Kriege formten auch die USA zu dem, was sie heute ist. Im Gegensatz zu uns Deutschen sieht man die zahlreichen dunklen Abschnitte der eigenen Vergangenheit in den USA nicht ganz so eng. Eine Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit findet als Nation nicht statt, eher noch durch einzelne Menschen, welche die Vergangenheit kritisch hinterfragen. Die Sklaverei und das Abschlachten und die Vertreibung von indigenen Völkern (bekannt als „Indianer“) sind Dinge, die schwer wiegen, aber gerne verdrängt werden. So bestätigten es mir Amerikaner, mit denen ich darüber sprach.

Gleichzeitig betreibt man einen Kult um Personen, der mit diesem geschichtlichen Hintergrund bei uns in Deutschland wohl nicht möglich wäre. Wer zum Beispiel einmal das Grabmal von George Washington auf seinem Landsitz Mount Vernon besucht hat, weiß, wovon ich spreche.

Jener George Washington, der nicht nur der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war, sondern gleichzeitig auch 317 Sklaven für sich arbeiten ließ. Wie viel Ehre würde man wohl einem deutschen Staatsmann bei uns zukommen lassen, wenn ähnliches über ihn bekannt werden würde?

Jetzt kann man natürlich sagen, dass es zur damaligen Zeit wohl üblich war, als adliger Landbesitzer auch Sklaven zu halten und man es vor dem geschichtlichen Hintergrund nicht verurteilen sollte. In Deutschland haben wir uns die political correctness schon längst auf die Fahnen geschrieben. Da werden Straßen, Plätze, Gebäude, Kasernen kurzerhand umbenannt, wenn auch nur der Verdacht entstanden ist, derjenige oder diejenige könnte einen Anteil an Deutschlands dunkler Vergangenheit haben.

Schnell vergessen ist dann alles, was jemand zum Wohle des eigenen Volkes geleistet hat. George Washington hätte bei uns aus diesem Grund wohl keine Statuen und kein Grabmal, die man besichtigen könnte und ganz sicher wäre ein Kopf auch nicht auf einem Geldschein zu finden.

Und weil wir Deutschen ja gerne so political correct sind, scheuen wir uns auch nicht, die Sprache in Büchern im Nachhinein so zu ändern, dass sie unseren Vorstellungen von politischer Korrektheit entsprechen. In ihrer aktuellen Montagsfrage stellt Sophia vom Literaturblog Wordworld die folgende Frage in den Raum:

Wie steht Ihr zur political correctness in klassischen (Kinder-)Büchern?

Es ist zwar schon Sonntag und die Woche für diese Montagsfrage fast verstrichen, dennoch möchte ich gerne ein paar Zeilen dazu schreiben. Bücher (ich beschränke mich jetzt mal auf Bücher) entstehen immer vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Zeit. Werte und Normen einer Gesellschaft können sich im Laufe der Geschichte verändern, ebenso Begrifflichkeiten. War früher in den Schulen noch die Prügelstrafe üblich, so ist sie es heute, Gott sei’s gedankt, nicht mehr. Was heute von uns Lesern negativ konnotiert wird, muss zum Zeitpunkt des Entstehens des Textes nicht zwingend negativ oder abwertend gemeint sein. Wer sind wir eigentlich, dass wir uns anmaßen, Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu korrigieren, deren Texte zu einer anderen Zeit entstanden sind? Wer entscheidet eigentlich, ob ein Text noch zeitgemäß ist oder nicht? Was heißt denn überhaupt „zeitgemäß“?

Ich halte diese Art von Korrektur klassischer Texte für ein unsägliches Gebaren. Ist es nicht so, dass man jene Texte vor dem jeweiligen geschichtlichen Hintergrund lesen und interpretieren muss? Natürlich sollte man diese Texte kritisch hinterfragen. Natürlich sollte man auf heutzutage eventuell problematische Begriffe hinweisen. Das kann zum Beispiel durch Fußnoten geschehen, in denen diese Begriffe erklärt werden. Allerdings finde ich es absolut unangemessen, Texte zu verändern, weil sie unserer Vorstellung von einer korrekten Sprache nicht (mehr) entsprechen. Wir benötigen keine Sprachpolizei, die uns unangemessene Ausdrücke vorhält und uns allzu gerne bevormundet, was wir lesen dürfen und was nicht. Wir benötigen aufgeklärte Menschen, die kritisch hinterfragen und sich selbst ein Bild machen können und wollen. Menschen, die über die fragwürdigen Begrifflichkeiten kritisch diskutieren und warum diese Ausdrücke vor dem Hintergrund der jeweiligen Zweit entstanden sind. Und ist die Sprache auch noch so schlimm. Was ein Autor oder eine Autorin so geschrieben hat, sollte auch so geschrieben bleiben. Entsprechende Änderungen können meiner Meinung nach nur durch den Urheber eines Textes gemacht werden. Das ist meine Meinung.

Jay

3 Gedanken zu “Political Correctness in (Kinder-)Büchern?

  1. Hey Jay,

    ich habe gerade per Zufall noch deine Antwort auf die letzte Montagsfrage gefunden, die ja von dir kam 😉 Hattest du mir da keinen Kommentar unter dem Hauptbeitrag hinterlassen, oder ist der irgendwie verloren gegangen? Naja egal, ich habe deinen Beitrag jetzt auf jeden Fall noch nachträglich verlinkt.
    Inhaltlich würde ich dir zu 100% zustimmen! Kritisches Hinterfragen und Diskussionen bringt uns als Gesellschaft meiner Meinung nach deutlich mehr weiter als eine „Sprachpolizei“, die dafür sorgt, dass vermeintliche Konfrontationen vermieden werden.

    Liebe Grüße
    Sophia

  2. Hallo Jay,

    ich bin ganz Deiner Meinung, solch ein Vorgehen halte ich für Urkundenfälschung und Zensur. Dann kann man gleich wieder Bücher verbrennen, das hatten wir schon ein Mal. Wir (besser: Die Anderen) sind anscheinend aus den erschreckenden Ereignissen der Vergangenheit nicht schlau geworden.

    Viele Grüße

    Wolfram

    1. Hallo Wolfram,

      ich sehe das ebenso. Es ist einfach ein Unding. Es gibt Möglichkeiten, nicht mehr ganz zeitgemäße Textstellen und Begriffe kritisch zu kommentieren. Das Original jedoch zu verändern, das geht in meinen Augen überhaupt nicht und wäre ein Afront gegen die Schriftstellerin bzw. den Schriftsteller. Das ist nicht akzeptabel.

      Viele Grüße
      Jay

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