17. April 2024

Fantasyautor Joe Abercrombie wurde der „Schwäbische Lindwurm“ verliehen

Joe Abercrombie mit mir und dem Schwäbischen Lindwurm bei der Preisverleihung in Stuttgart, 18. Juni 2015
Joe Abercrombie mit mir und dem Schwäbischen Lindwurm bei der Preisverleihung in Stuttgart, 18. Juni 2015

Was für ein toller Abend im Literaturhaus in Stuttgart! Nachdem ich schon vor einigen Wochen zufällig mitbekommen hatte, dass Joe Abercrombie sich in Deutschland die Ehre gibt, um im schönen Schwabenland einen Fantastikpreis entgegenzunehmen, wusste ich schon: Da muss ich hin!
Natürlich war es nicht einfach nur irgendein Preis, sondern der Schwäbische Lindwurm, der Joe im Rahmen des Fantastikfestivals „Dragon Days“ von Alex Jahnke bei einer Lesung im Literaturhaus überreicht wurde. Dieser hielt auch gleich die Laudatio auf Joe und erklärte, was dessen Bücher für die Leser guter Fantasy, vielleicht nicht unbedingt einzigartig, aber besonders macht. Ok, ich nehm’s zurück, Joe Abercrombies Bücher sind einzigartig und das ist vor allem den unglaublich facettenreichen und vor allem glaubwürdigen Charakteren geschuldet, die man oft weder den Guten, noch den Bösen zurechnen kann. Aber vielleicht sollte ich hier erst ein wenig ausholen…

Alex Jahnke las die Laudatio zur Preisverleihung, Stuttgart im Juni 2015

In der Vergangenheit hatte fantastische Literatur immer wieder Probleme ihren Platz in der großen Welt der „gehobenen“ Literatur zu finden. Oft nur als leichte (Unterhaltungs-)Kost abgetan, trivial und vielleicht auch mit zu wenig Tiefgang, der nur wenig Raum für Interpretationen des Textes durch Kritiker ließ. Die Aufteilung der Welt in gut und böse war im Prinzip festgelegt, es gab die Schurken und die Helden, wobei letztere immer in den Geschichten bei Pferd standen und hauptsächlich einen Punkt auf ihrer To-Do-Liste vermerkt hatten: Rette die Welt, das Königreich oder die Liebste aus den Klauen des Bösen!

Der Leser konnte eintauchen in Welten und den oder die Helden (oder Heldin) auf ihrem steinigen Weg bei der Erfüllung des Auftrags begleiten. Wer kennt sie nicht, die Heldengeschichten unserer Kindheit, die wir alle so gerne hatten?
Doch die fantastische Literatur hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Es gibt nicht mehr nur einfach das Happy End, wie in Grimms Märchen, wo alle bis zum Ende glücklich und zufrieden leben. Auch Helden haben inzwischen mehr als nur marginale Schwächen und manche Stärke ist vielleicht in Wahrheit doch eher ein Hindernis, zum Beispiel wenn überzogener Heldenmut oder Ehrgeiz zur Gefahr für die Mitmenschen wird. Andererseits sind die Bösen auch nicht immer mehr das, was sie früher mal waren, denn sie bekamen plötzlich positive Eigenschaften mit auf den Weg, welche die üblichen Klischees durchbrechen und sie für den Leser noch interessanter machen. Zum Beispiel späte Einsichten, dass man Unrecht getan hat und nun versucht die Dinge wieder ins rechte Lot zu rücken.

Joe Abercrombie und sein Schwäbischer Lindwurm beim Signieren, Stuttgart im Juni 2015

Über lange Zeit prägte dieser Gegensatz, nämlich gut gegen böse, die Fantasyliteratur und als bekanntestes Beispiel der High Fantasy ist hier wohl Tolkiens Der Herr der Ringe zu nennen, an dem sich viele nachfolgende Autoren zumindest orientierten. Doch, wie gesagt, die Zeiten änderten sich und die Helden und Antihelden (welch interessantes Wort) wurden realer, indem sie wirkliche Stärken und Schwächen mit auf den Weg bekamen. Denken wir an George R. R. Martins Jaime Lannister, dem strahlenden Helden, der doch so einige negative Charakterzüge mitbringt, oder, noch besser, sein vielfach verachteter Bruder Tyrion, der sich mit seinem Charme schnell in die Herzen der Leser schlich und inzwischen zu den beliebtesten Charakteren in Das Lied von Eis und Feuer zählt.

Inzwischen möchte der Leser nicht mehr nur den äußeren Schein der Protagonisten und Antagonisten wahrnehmen, sondern er möchte hinter die Kulissen sehen und die Personen so kennenlernen, wie sie sind. Als glaubwürdige, vielschichtige Menschen mit Stärken und Schwächen, wie sie selbst welche haben. Der weiße Ritter auf seinem weißen Pferd wirkt plötzlich weniger weiß und der Umhang bekommt einige dunkle, aber interessante Flecken, die sich oft nur schwer auswaschen lassen.

Joe Abercrombie mit seiner deutschen Übersetzerin Kirsten Borchardt, Stuttgart im Juni 2015
Joe Abercrombie mit seiner deutschen Übersetzerin Kirsten Borchardt, Stuttgart im Juni 2015

Joe Abercrombie geht in seinen Büchern diesen Weg und verleiht seinen Charakteren bis ins letzte Detail Glaubwürdigkeit. Da gibt es Prinzen mit verkrüppelten Händen, die um ihren Thron kämpfen (Half a King/Königsschwur), Folterknechte, die nur allzu oft über ihre Arbeit nachdenken (Kriegsklingen), berüchtigte Söldnerführerinnen (Racheklingen) und noch viele viele mehr. Abercrombie macht seine Charaktere real, indem er den Leser an ihren Beweggründen teilhaben lässt und ihn tiefe Einblicke in ihre Gedankengänge gewährt. Die Geschichten werden nicht mehr nur aus einem Blickwinkel erzählt (die des Helden), sondern aus vielen verschiedenen. Der Leser hat nun die Möglichkeit selbst zu urteilen und vielleicht Mitleid mit dem armen, einsamen Drachen zu empfinden, der die Prinzessin doch nur beschützt und nun eines gewaltsamen Todes sterben soll. In Joe Abercrombies Fantasywelt verschwimmen schnell die Grenzen zwischen Gut und Böse. Helden können ebenso gut Schurken als auch Opfer sein, abhängig vom Blickwinkel, den der Leser einnimmt und wer in diesem Moment die Geschichte erzählt. Die Personen werden vielschichtig und interessant und man möchte gerne mehr über sie erfahren. Es sind Menschen (oder Monster) wie du und ich geworden. Man fühlt mit ihnen, stimmt ihnen zu, sorgt sich um sie oder verabscheut sie für ihre Taten. Auch Joe Abercrombies Fantasywelt selbst ist nicht immer nur Sonnenschein (in glücklichen Tagen) oder Nieselregen (in schrecklichen Tagen), sondern ebenso abwechslungs- und facettenreich, wie die Personen, die in ihr leben. Lest seine Bücher und entscheidet selbst, wer eure Helden sind. Erwartet keine weißen Ritter auf weißen Pferden, aber Helden, die so echt sind, wie sie nur das wahre Leben erschaffen kann.

Der schwäbische Lindwurm 2015 geht an Joe Abercrombie, der die Helden zerstört und sie zu dem gemacht hat, was sie eigentlich sind: Menschen, die sich mit ihrer Geschichte und Fehlern einer Aufgabe stellen.

Alex Jahnke bei der Preisverleihung am 18. Juni 2015 im Literaturhaus in Stuttgart

Nach der Preisverleihung gab es noch ein längeres Interview mit Joe und eine Fragerunde für das Publikum, sowie die Möglichkeit Bücher von ihm signieren zu lassen und ihn hautnah zu erleben.

Achtung: Buchverlosung!

Deutsche Taschenbuchausgabe
Joe Abercrombie: Kriegsklingen, Heyne Verlag

Weil ja nicht jeder die Möglichkeit hatte am vergangenen Donnerstag abends nach Stuttgart zu kommen, habe ich mir gedacht, ich verlose an Euch, meine tollen Leser, eine nagelneue und ebendort signierte Ausgabe von Joes erstem Roman Kriegsklingen.
Schaut einfach in den kommenden Tagen nochmal hier vorbei, denn es wird für die Verlosung einen separaten Beitrag geben, den ich allerdings noch schreiben muss. Das Buch ist Spitzenklasse, nicht zuletzt wegen der tollen Arbeit der Übersetzerin Kirsten Borchardt.

Jay

Hier noch ein kurzer Film von der Lesung in Stuttgart auf YouTube

Wegen der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bette ich YouTube-Videos nicht mehr direkt hier im Blog ein. Klicke einfach auf das Vorschaubild, um direkt zum Video bei YouTube zu gelangen.

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