28. März 2024

Jenseits der blauen Grenze von Dorit Linke

Dorit Linke: Jenseits der blauen Grenze Hardcoverausgabe Magellan Verlag (2014)

Die DDR im August 1989: Hanna und Andreas sind ins Visier der Staatsmacht geraten und müssen ihre Zukunftspläne von Studium und Wunschberuf aufgeben. Stattdessen sehen sie sich Willkür, Misstrauen und Repressalien durch den Staat ausgesetzt. Wie es scheint liegt ihre einzige Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in der Flucht über die Ostsee nach Westdeutschland. Fünfzig Kilometer Wasser trennen sie von der Freiheit – und nur ein dünnes Seil, das ihre Handgelenke verbindet, rettet sie von der absoluten Einsamkeit… (Jenseits der blauen Grenze, Adaption Klappentext)

Titel: Jenseits der blauen Grenze Autor: Dorit Linke Verlag: Magellan Seitenzahl: 304 Genre: Roman Alter: 15-17 Erste Aufl.: 21. Juli 2014 Ausgaben: Hardcover, Taschenbuch ISBN: 978-3734856020 (HC)

Über das Buch und die Autorin von Jenseits der blauen Grenze

Dorit Linke wurde 1971 in Rostock, in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), geboren und wuchs dort auf. Sie machte Abitur, war Leistungssportlerin und auch Rettungsschwimmerin. Die politischen Entwicklungen unter Michail Gorbatschow, die Ende der 80er Jahre auch die Wende in Ostdeutschland einleiteten, erlebte sie bewusst mit. Sie nahm an den Montagsdemonstrationen teil und war 18 Jahre, als die Mauer fiel und die Menschen in Ost- und Westdeutschland wieder zueinander fanden. Jenseits der blauen Grenze ist Dorit Linkes erster Roman und erzählt vom Leben als Jugendlicher in der DDR, sowie von einer dramatischen Flucht über die See in den Westen. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin.

Jenseits der blauen Grenze ist am 21. Juli 2014 beim Verlag Magellan erschienen und wurde bereits für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2015 nominiert. Die Handlung der Hardcoverausgabe umfasst 300 Seiten. Hinzu kommen die Danksagungen und Quellenverweise, sowie ein vierseitiges Glossar von Abkürzungen und Begriffen, die in der DDR geläufig waren, aber sicher nicht jedem Leser geläufig sind.

Meine Meinung zu Jenseits der blauen Grenze

Jenseits der blauen Grenze ist aus der Perspektive der Protagonistin Hanna Klein geschrieben und erzählt in zwei Handlungssträngen einerseits vom Leben als Kind bzw. Jugendlicher in der DDR und zum anderen von den Gefahren und Strapazen einer waghalsigen „Republikflucht“ über die Ostsee nach Westdeutschland. Die Handlung beginnt schon direkt am Strand von Warnemünde, wo sich Hanna und Andreas in den Dünen vor den Scheinwerfern der NVA-Grenztruppen verstecken müssen, und mit dem Beginn ihrer Flucht. Hanna wollte eigentlich Biologie studieren, bekam jedoch wegen ihres verwirrten Großvaters immer wieder Probleme mit der Staatssicherheit. Sie kennt Andreas schon von der Grundschule und zusammen sind die beiden bereits durch dick und dünn gegangen. Außerdem gibt es dann noch Sachsen-Jensi, wie er von Hanna und Andreas genannt wird, der zugezogene aus Dresden, der mit seinem sächsischen Dialekt die Rostocker „Fischköpfe“ in seiner neuen Klasse zum Lachen bringt und verschreckt und der sich schnell mit Hanna und Andreas anfreundete. Die drei sind fast untrennbar miteinander verbunden und das ist ein wesentlicher Aspekt für den weiteren Verlauf der Geschichte.
Sie wissen schon, dass „ihre“ DDR nicht immer das hält, was ihnen in den Medien versprochen wird. Gerne nehmen sie, was natürlich nicht gerne gesehen wird, Geld und Süßigkeiten vom „Klassenfeind“ aus dem Westen an und sie begehren in der Schule immer wieder gegen die mehr oder minder linientreue Lehrerschaft auf. Zwar ist die fleißige Hanna hierbei eher zurückhaltend, dennoch kommt sie irgendwann unter die Räder des Staatsapparats. Andreas und ganz bestimmt Sachsen-Jensi machen Hannas Mangel an „konterrevolutionärer“ Einstellung jedoch wieder wett. Jensis bisweilen öffentlich erzählte Witze gegen den Staat und des DDR-Regime sind immer wieder überaus erfrischend zu lesen und aus seinem Mund der pure Sarkasmus. Er weiß um die persönlichen Einschränkungen und hat resigniert, weshalb er versucht sie mit seinem Witz zu überspielen.

„Ein Mann kommt nach Hause. Er stürzt in die Wohnung, sieht seine Olle mit einem Liebhaber im Bett und brüllt: Ihr mährt hier rum und in der HO gibt’s Apfelsinen!“

*HO (Handelsorganisation): staatl. Einzelhandelsunternehmen, das Mangelware zu überhöhten Preisen anbot.  (aus dem Glossar im Buch)

Dorit Linke: Jenseits der blauen Grenze

Der Dresdner Junge hat es wirklich faustdick hinter den Ohren. Als Leser begleitet man die drei durch eine Jugendzeit in der DDR und ihre vielen kleinen und größeren Probleme, die oft durch ihre kritische Haltung gegenüber der Staatsmacht entstehen, oder einfach nur, weil sie versuchen nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben.
Obwohl die Personen und deren Geschichte von der Autorin erfunden wurde, so wird sie doch durch die vielen interessanten Alltagsbezüge und die kleinen Details lebendig, die Dorit Linke in ihr Buch einfließen lässt. Das zeigt sich schon beim typischen Vokabular, wie zum Beispiel Gleitschuhe (Schlittschuhe), Goldbroiler (Brathähnchen) und Raider (wie der Schokoriegel Twix in den 80ern noch hieß).
Dann natürlich die wundervoll intonierten Passagen von Sachsen-Jensis ursächsischen Dialekt, den er hin und wieder zum Besten gibt. Wundervoll! Man erkennt, dass Dorit Linke in Ostdeutschland aufwuchs und weiß, wovon sie spricht. Ihr Können als Autorin beweist sie, indem sie ihr Wissen stilistisch hervorragend in Worte fasst und ein solch plastisches Bild von der DDR zeichnet, dass man es beinahe greifen kann. Beim Lesen des Buches taucht man richtig tief ein in diese Welt, die viele Westdeutsche lange nur vom Hörensagen kannten und sieht sie durch die Augen von Hanna, die die Ereignisse erzählt. Selbstverständlich ist die Handlung des Buches nicht an den Haaren herbeigezogen. Immer wieder gab es Fälle von „Republikflucht“ über die Grenze nach Westen und auch über die Ostsee. Somit hat die Handlung natürlich einen wahren Kern, was sie auf den Leser umso ergreifender wirken lässt.

Im Roman unterscheidet sich der Alltag der Jugendlichen in der DDR zunächst nicht wesentlich von dem in der BRD. Die Kinder gehen schwimmen, kaufen Süßigkeiten und hören die angesagten (meist westlichen) Lieder im Radio oder von selbst aufgenommenen Kassetten. Doch die Unbeschwertheit wird unterschwellig immer wieder von einer gezwungenen Atmosphäre überschattet, die den Puls etwas schneller schlagen lässt, aber nur schwer zu greifen ist. Wie, wenn eine ständige unausgesprochene Bedrohung über allem und jedem schwebt und einem das Atmen erschwert. Da werden die Kinder mal von Fremden nach ihrer Wohnadresse und den Eltern befragt, die Volkspolizei möchte wissen, wo sie herkommen und wo sie hin wollen, der Schuldirektor und manche Lehrerin hält ihnen vor, sich nicht regelkonform zu verhalten, und so weiter. Die Aufmüpfigkeit der Schüler ist es schließlich, die immer wieder Sanktionen nach sich zieht, bis Hanna und Andreas kaum noch eine Lebensperspektive in der DDR sehen. Die Flucht in die Freiheit nach Westdeutschland ist schließlich die Konsequenz. Und was für eine Flucht das wird. Dorit Linke beschreibt sie so spannend, wie man sie nur erleben kann. Während sich Hanna und Andreas durch die Ostsee kämpfen, immer auf der Hut vor der NVA, macht sich Hanna viele Gedanken über die Kinder- und Jugendzeit der drei Freunde. In Rückblicken werden dann die vergangenen Ereignisse aufgearbeitet und geben den Protagonisten dadurch sehr viel Tiefgang. Ihre Sehnsüchte und Wünsche werden offenkundig, ebenso wie ihre Ängste und die Verzweiflung, die über Jahre in ihnen wuchsen.

Mein Fazit zu Jenseits der blauen Grenze

5 von 5 Sternen "Fesselnd, beklemmend, aber auch voller Hoffnung."
5 von 5 Sternen
„Fesselnd, beklemmend, aber auch voller Hoffnung.“

Das Buch hat mir nicht nur sehr gut gefallen, es hat mich ergriffen und zum Nachdenken gebracht. Es gehört zu jenen Büchern, die einem noch Tage nach der Lektüre durch den Kopf spuken und die man immer wieder lesen kann. Ganz großes Kopfkino!
Dorit Linke hat mit Jenseits der blauen Grenze einen wirklich überzeugenden Debütroman abgeliefert, den ich schon jetzt als ein persönliches Jahreshighlight 2015 bezeichnen möchte. Ich würde mich freuen bald noch mehr von ihr zu lesen und jedem anderen sei hiermit die Lektüre dieses Buches wärmstens empfohlen!

Ich bedanke mich beim Magellan Verlag  für die freundliche zur Verfügungstellung eines Leseexemplars dieses tollen Buches.

Jay

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